Friday, January 25, 2008

Tagebuch eines Haarspalters

9. Juni
Heute früh beim Frühstück sah ich in der Zeitung ein Foto von Chruschtschow und musste laut auflachen. Wie kann ein Mann, und noch dazu der Führer eines großen Volkes, einen Glatzkopf haben, der von einer polierten Billardkugel kaum zu unterscheiden ist? (...)

10. Juni
(...) Mein Friseur, den ich zufällig in seinem Laden antraf, bestätigte mir, dass ein täglicher Ausfall von 10-23 Haaren allgemein üblich sei. "Kahlköpfigkeit ist erblich. Nur Männer, deren Vorfahren Glatzen haben, sind in Gefahr." Zu Hause geriet mir zufällig ein Familienbild meines Großvaters und seiner acht Brüder in die Hand. Alle hatten Glatzen. Ich finde, dass mein Friseur sich um sein Geschäft kümmern sollte, statt Fragen der Vererbungstheorie zu diskutieren und dummes Zeug zu schwätzen.

3. September
Es ist doch merkwürdig. Seit ich meinen Haaren so viel Aufmerksamkeit schenke, fallen sie aus. Natürlich merkt das niemand ausser mir, der ich ihnen so viel Aufmerksamkeit schenke. (...)

11. Februar
Meine neue Frisur passt ausgezeichnet zur verschmitzten Koboldhaftigkeit meiner Gesichtszüge. Das ganze Haar vereinigt sich in einem lustigen kleinen Knäuel und reicht bis zu einer imaginären Verbindungslinie zwischen meinen beiden Ohren, von wo es salopp und ein wenig genialisch nach hinten ausstrahlt, über den haarlosen Rest meiner Kopfhaut.(...)

27. Mai
Mein Friseur sagt, dass glatzköpfige Männer meist begabter sind als die nicht glatzköpfigen, besonders auf gewissen Gebieten. Er empfahl mir, meinen Kopf zu rasieren, damit das natürliche Sonnenlicht besseren Zutritt zu den Haarwurzeln fände. Dadurch wird der Haarwuchs angeregt und das Haar erhält wieder seine jugendliche Frische. Nicht als ob ich etwas dergleichen nötig hätte - ich ließ es ihn spaßeshalber versuchen. Als ich nachher in den Spiegel sah, wurde ich beinahe ohnmächtig: Das jugendlich brutale Gesicht eines Gangsters starrte mir entgegen. (...)

27. August
Heute habe ich mich zum ersten Mal wieder bei Tageslicht aus dem Haus gewagt. In meiner Klausur las ich zahlreiche Literatur über Chruschtschow und seine großen Leistungen. Chrutschschow hat bereits in früher Jugend sein Haar verloren. Ich kann mir nicht helfen, aber der Kommunismus ist nicht so ohne. (...)

17. November
(...) Die Zahl meiner Haare ist auf 27 gesunken, und ich beginne, die Welt mit abgeklärten Augen zu sehen. Kein Zufall, liebe Leute, dass fast alle großen Industriemagnaten, Wirtschaftskapitäne, Wissenschaftler und Forscher glatzköpfig sind, (...). Bei mir bemerkt man das allerdings noch nicht, weil ich mein Haar auf so raffinierte Weise von hinten nach vorn kämme, dass es den zwingenden Eindruck erweckt, als sei es von vorn nach hinten gekämmt. (...)

29. Januar
(...) "Er steht hinter dem Glatzkopf dort." Es war das erste Mal. dass ich eine solche Andeutung zu hören bekam. Vorausgesetzt, dass diese Ziege überhaupt mich gemeint hat. Angesichts meiner Frisur möchte ich das eher bezweifeln: Acht Haare laufen wellenförmig von links nach rechts, drei andere - Gustl, Lili und Modche -streben in rechtem Winkel auf sie zu und überschneiden sie schräg. Für den Hinterkopf sorgt Jossi. (...)

2. März
(...) Bei der heutigen Morgenkontrolle fehlte Gustl. Ich führte eine nochmalige Aufrufkontrolle durch und musste feststellen, dass die Gesamtzahl der Erschienenen sich auf vier belief. Später fand ich Gustl leblos an meinem Hemdkragen. Es war das längste und stärkste Haar von allen, die ich noch hatte. Ich warf Modsche in die Bresche und bürstete ihn ein wenig auf, damit er nach mehr aussähe, als er ist. Abigail wird grau.

13. April
Nun ist Jossi ganz allein. Der Friseur erging sich in Lobeshymnen über ihn und schlug mir vor, ihn im Interesse einer kräftigen Widergeburt abzurasieren. Ich spendierte Jossi ein Chlorophyll-Shampoo gegen Schuppenbildung. Als er trocken war, legte ich ihn im Zickzack über meinen Kopf. Er soll Grund und Boden haben, soviel er will.

28. Juli
Das Unvermeidliche ist geschehen. Jossi ist nicht mehr. Er verfing sich im Innenleder meines Hutes und wurde mit der Wurzel ausgerissen. Mir fiel das tragische Ende von Isadora Duncan ein. Selbstmord?

29. Juli
Ich werde mich damit abfinden müssen, dass ich eine gewisse Neigung zur Kahlköpfigkeit habe.


Ephraim Kishon: Tagebuch eines Haarspalters. in: Ders: Im neuen Jahr wird alles anders. Ausgewählte Satiren. Bergisch Gladbach 2001. S. 310-315.

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